manfred schulze

eine Seite für Catcher und sein baritone ...

„Kättschr“

.…In den Sommerferien 1976 besuchte mich dann Helmut Joe Sachse in Machern. Das war eine große Überraschung für mich, ...
Auf der sonnigen Veranda meines Elternhauses fragte er mich, ob ich denn Lust hätte, in der „Manfred Schulze – Formation“ zu trommeln.

Das war für Dix ein sehr verführerisches Angebot.
Ich hatte diese Band kurz vorher im Leipziger Felsenkeller gehört und war immer noch sehr beeindruckt von der aggressiven Wucht, welche sich während vieler Stücke wie eine dicke schwere Walze von der Bühne ins Publikum schob.
So sagte ich nach kurzer Überlegung zu … und wurde festes Mitglied der Berliner „Manfred Schulze – Formation“.

Manfred trug den Spitznamen „Kättschr“.
Warum das so war, sollte ich bald erleben. Dieser ursprünglich hoch sensible Musiker wurde besonders im Kollegenkreis ob seiner Unberechenbarkeit und cholerischen Anfälle gefürchtet.
Viele sahen in diesem seinen Wesen aber auch einen revolutionären Gestus und verehrten ihn gerade deshalb.
Die personelle Alchimie seiner Bands nahm auf diese Gegebenheit meist Rücksicht, und wenn es galt, den Meister nach einem seiner respektheischenden Ausbrüche wieder zu beruhigen, waren genau die dafür kompetenten Kollegen zur Stelle.
Ohne solch funktionierende Gruppendynamik wäre diese Gruppe schon nach kurzer Zeit auseinander gebrochen.
Manfred führte sich jedoch nicht aus Kalkül so auf, sondern dieses Verhalten war der eine Teil einer ansonsten ziemlich komplexen Künstlerpersönlichkeit.
Auf allgemein menschlichem Gebiet war ihm jedoch zu keiner Zeit etwas vorzuwerfen.
Die Band bewegte sich nicht zuletzt deshalb immer auf einem sehr hohen energetischen Level, und das wirkte sich auf die Musik durchaus förderlich aus.

Dix hatte es sich während der vorausgegangenen zwei Jahre in der Rolle eines provinziellen „shooting stars“ gemütlich eingerichtet und dabei sehr wohl gefühlt…
Die erste Probe mit „Kättschr“ zeigte mir dann eine andere Seite der Realität.
Wir probten in der alten Buchheimer Dorfschule.
In der Mitte des ehemaligen Unterrichtsraumes befand sich eine gusseiserne Säule. Immer wenn einer von „Kättschrs“ Wutausbrüchen den Höhepunkt erreicht hatte, sprang er zu dieser Säule.
Während das große Baritonsaxophon hilflos an dem kleinen stämmigen Mann mit den langen Armen herumbaumelte, trat dieser mit voller Wucht auf die Säule ein und stieß dabei ärgste Verwünschungen aus.
Die Bandkollegen kommentierten dies mit betretenem Schweigen.

Nachdem wir einige Stücke durchgespielt hatten, tat mir der „Kättschr“ kund, dass fast alles an meinem Spiel falsch sei.
Das verschlug mir die Sprache! Damals war ich noch lange nicht in der Lage, sowohl überschwänglichen Lobeshymnen als auch vernichtenden Kritiken wie der gerade gehörten ihren Stellenwert als total subjektive Meinungen zuzuweisen.
Dix wollte gern gelobt werden, er sonnte sich gern in fremder Begeisterung und tankte daraus Kraft. Doch hier wehte ein anderer Wind.

Einige Monate später, wir hatten schon zahlreiche gemeinsame Auftritte hinter uns, begann ich dann „Kättschrs“ Genörgel als förderlich zu begreifen, denn dadurch zum Üben angespornt hatte Dix in seiner trommlerischen Entwicklung beeindruckende Fortschritte gemacht.
Die „Manfred Schulze – Formation“ war trotz innerer Widersprüche für mich zu einer Schule geworden, die für mein Verständnis der damaligen Leipziger Musikhochschule in vielem den Rang abgelaufen hatte und die ich eine Zeit lang nicht mehr missen wollte.

Über Manfred könnte ich noch einige wilde Geschichten aufschreiben, möchte dies aber lieber unterlassen, denn zahlreiche Eindrücke aus jener Zeit sind schon recht unscharf, und manches davon wurde mir nur über Dritte zugetragen.
Trotz Ambivalenz bleibt das Bild eines ungewöhnlichen Musikers und Menschen, in dessen Gegenwart ich viele wertvolle musikalische und außermusikalische Lektionen erlebte!

Der Text ist eine gekürzte Geschichte aus dem voraussichtlich Ende 2009 erscheinenden Buch „Die Reise des sächsischen Trommlers“ von Wolfram Dix.
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